Land und Leute Ägypten
Begräbnisritual im religiösen Totenkult
Mundöffnungsritual
Ritual zur Belebung der Mumie
Geschichte
Das Ritual der Mundöffnung ist in seiner Bedeutung bereits seit der sehr frühen Geschichte Ägyptens bekannt. Bereits in den Anfängen des Alten Reiches (2700 bis 2200 v. Chr.) ließen die Pharaonen noch zu Lebzeiten von sich Statuen für das eigene Grab entwerfen. Sie blieben bis zum Tode des Pharaos unter priesterlichen Schutz versteckt und kamen nach Abschluß aller Begräbnisrituale kurz vor der eigentlichen Bestattungszeremonie zum Einsatz. Mit einem besonderen Gerät, dem Peschefkaf vollzogen die Priester kurz vor der Bestattung an der Statue des Pharaos das Mundöffnungsritual. Dieser symbolisch religöse Akt diente der Belebung des Verstorbenen an sein Abbild. Im historischen Wandel der Begräbnisrituale ging man noch im Alten Reich dazu über, das Ritual der Mundöffnung schon direkt an der Mumie zu vollziehen, bevor sie zum Begräbnisabschluß im Sarkophag für das ewige Leben im Jenseits aufgebahrt wurde. Dieses Begräbnisritual im religösen Totenkult hatte in der gesamten fast 3000-jährigen Geschichte im Alten Ägypten ihren Bestand.
Bild 1: Ein Dechsel (altägyptisch: Peschefkaf) war das heilige Werkzeug für das Ritual der Mundöffnung für die Belebung der Mumie. Die Abbildung zeigt einen original Peschefkaf der für einen Pharao genutzt wurde. Er befindet sich heute im Hurghada Museum, Ägypten.
Bedeutung des Mundöffnungsrituals
Nach unterschiedlichen Bestattungsritualen endeten die Zeremonien einer Beerdigung vor dem eigentlichen Grab mit dem Mundöffnungsritual. Nach den Reinigungen (Libation), den Räucherungen (siehe Bild 3) und den Opferungen begann der wichtigste Teil der Bestattungszeremonie in Form der symbolischen Öffnung des Mundes. Dieses Ritual vollzog meist der älteste Sohn oder ein Sem-Priester, der meist an seinem gefleckten Leopardenfell zu erkennen ist (siehe Bild 2). Bei dem Ritual der Mundöffnung wurde die Mumie des Verstorbenen aufgerichtet und vom einem Priester gehalten, der auf Darstellungen meist als Gott Anubis gezeigt wird. Mit einem rituellen Werkzeug, dem sogenannten Dechsel, wird der Mund des Verstorbenen berührt. Dieser Vorgang war die Grundvoraussetzung für das Weiterleben des Verstorbenen im Jenseits, damit die Lebensfunktionen wieder ausgeführt werden konnten. Der Verstorbene sollte so wieder essen, trinken und sprechen können. In Begleitung von Beschwörungsformeln, die von weiteren Ritualpriestern gesprochen wurden, berührte man mit dem Dechsel auch die Augen und die Nase, damit der Verstorbene im Jenseits auch wieder Atmen, Riechen, Sehen , Hören und Sprechen kann. Aber nicht nur die Sinne sollten lebensfähig wieder hergestellt werden, auch die körperliche Beweglichkeit und Sexualität des Verstorbenen sollte wieder aktiviert werden.
Bild 2: Die Bildszene an der Nordwand in der Sargkammer von Pharao Tutanchamun zeigt ausführlich die rituelle Mundöffnungszeremonie, die an Tutanchamun in typischer Darstellung des Osiris durch den Nachfolger auf dem Thron Eje vollzogen wird. Bei dieser Handlung werden dem Verstorbenen durch das dechselförmige Gerät in magische Weise die Lebensfunktionen und seine Sinne zurückgegeben. Im Gewand eines Sem-Priesters vollzieht Eje das Ritual an Tutanchamun. Erkennbar an dem Leopardenfell als Überhang eines Priesters. BIld 3: Wanddarstellung eines Begräbnisrituals an der rituellen Ostseite rechts vom Eingang der Grabkammer von Sennefer TT96. Zu sehen ist ein Sem-Priester mit seiner Leopardenbekleidung bei einem Opfer mit Beräucherung vor den verstorbenen Sennefer und seiner Frau Merit. Diese Szene mit dem Sem-Priester wird auch als Brandopfer bezeichnet. In den Händen hält der Priester einen Räucherlöffel und das notwendige Libationsgefäß mit dem er die Wasserspende über einen niedrigen Speisetisch vergießt.
Bild 4: Mundöffnungsrital des Hunefer. Skizze einer berühmten und bedeutenden Totenbuchpapyrus des Hunefer im Mumifizierungs-Museum in Luxor Ägypten, einem Schreiber aus der 19. Dynastie. Der Ausschnitt zeigt die aufrecht gehaltene Mumie des Hunefer durch den Totengott Anubis, vor der zwei Ritualpriester, sowie der an seinem Leopardenfell zu erkennende Sem-Priester (nicht im Bild) Opferhandlungen und die Mundöffnung vollziehen. Die beiden Ritualpriester halten bereits zwei Dechsel für das spätere Ritual der Mundöffnung in der Hand.
Fotos: (c) Michael Kürschner (3), Christel Selke (1)